Mehr als eine Hörhilfe

Erster Auracast-Praxistest mit Samsungs Flip 6 – Updates für Sony und Xiaomi kommen

Auf der IFA 2024 gab es eine große Demo für Auracast-Anwendungen. Bluetooth hat Handyhase in Berlin erlaubt, selbst mitgebrachte Testgeräte mit Auracast zu verwenden. Wir hörten also mit dem Samsung Galaxy Z Flip 6 sowie den Galaxy Buds 3 Pro mit und waren erstaunt, wie einfach das ging. Nur eine Macke gab es.

Einfacher geht es kaum: Bluetooth-Auracast-Auswahl auf dem Galaxy Z Flip 6. (Bild: Andreas Sebayang/Handyhase.de)

Die Bluetooth Special Interest Group (SIG) hat die IFA 2024 genutzt, um auch in Deutschland die neue Auracast genannte Funktechnik zu demonstrieren. Mit dieser können Hörsäle, Museen, Bahnhöfe oder Flughäfen einfach an Dein Bluetooth-Headset ausstrahlen, indem Du Dich in eine sogenannte Broadcast-ID einwählst. Das konnte Handyhase.de direkt ausprobieren.

Auf die grundsätzliche Funktion von Auracast wollen wir hier aber nicht weiter eingehen. Stelle es Dir am besten wie ein Radio vor, nur das Deine Ohrstöpsel der Empfänger sind und sich jeder Empfänger seine eigene Lautstärke aussuchen kann. Wenn Du weitere Informationen willst, empfehlen wir Dir unseren großen Hintergrundbericht zu Auracast von der CES 2024 in Las Vegas. Dort erklären wir die Technik noch einmal im Detail.

Unser Testsetup auf der Ifa 2024 für Auracast: Galaxy Buds 3 Pro und Galaxy Z Flip 6 (Bild: Andreas Sebayang/Handyhase.de).

Aber zurück zur Demo auf der Funkausstellung: Die Demo selbst war die gleiche, die auch auf der CES gezeigt wurde. Wir haben die SIG allerdings gefragt, ob wir mit Testgeräten das System selbst ausprobieren können.

Zum Einsatz kamen das Galaxy Z Flip 6 sowie die Galaxy Buds 3 Pro von Samsung. Beide sind für Auracast vorbereitet, da Samsung einer der ersten Smartphone-Hersteller ist, die das System vorbildlich unterstützen.

Auracast im Praxistest: Simpler geht es kaum

Die Nutzung ist dabei extrem einfach. Du gehst in Deine Bluetooth-Einstellungen und wählst dort die Galaxy Buds 3 Pro oder ein anderes Auracast-fähiges Headset aus. Dort gibt es etwas weiter unten eine Option für das Zuhören in Auracast Broadcast. Das klickst Du an und bekommst – wie beim WLAN – eine Liste sogenannter Broadcast IDs. Bei uns waren das auf der IFA mehrere Fernseher, ein Smartphone, ein Laptop, ein Flughafen-Gate und ein Hörsaal, die konstant und parallel funkten.

Kleines Sendegerät TV-Streamer+ von Resound für den Fernseher. (Bild: Andreas Sebayang/Handyhase.de)

Nach einem einfach Antippen bist Du auch schon im Kanal. Es gibt keine Kopplung oder Ähnliches. Stattdessen bist Du ohne Verzögerung drin. Eine Ausnahme gibt es aber: Wer Auracast streamen will, kann optional ein Passwort setzen. Wenn etwa eine ganze Familie sich ein Netflix-Video auf dem Flughafen anschaut – jedes Mitglied mit eigenen Ohrhörern – dann will diese vielleicht nicht noch andere Zuhörer haben.

Das Passwort ist ebenfalls fix eingegeben. Eine Besonderheit bei Samsung gibt es jedoch: Das Galaxy Flip Z 6 merkt sich das Passwort nicht für das nächste Mal. Offenbar werden die Broadcast IDs nicht auf dem Gerät wie WLAN-Netze gespeichert.

Ein Profigerät eher für Hörsäle und ähnliches. (Bild: Andreas Sebayang/Handyhase.de)

Auf Nachfrage gab die Bluetooth SIG an, dass das eigentlich nicht so passieren soll. Ein Gerät soll das Passwort speichern. Abseits dieses kleinen Problems funktionierte Auracast aber überraschend einfach. Du musst Dich kaum mit der Technik beschäftigen, sie ist einfach da. Für Dich, für Oma und Opa, die vielleicht Schwierigkeiten mit dem Gehör haben oder auch für jede andere Person.

Wir hatten mit dem Samsung-Setup sogar weniger Probleme als die Demoeinheiten, die Bluetooth anderen Journalisten ausgab. Wobei auch dort nur minimale Probleme auftraten.

Auracast ist also bereit und funktioniert hervorragend. Jetzt fehlen nur noch Installationen in Museen, Bahnhöfen oder Flughäfen, um mitzuhören. Das ist insbesondere für die Barrierefreiheit wichtig, denn Bluetooth Auracast bietet als Technik einen günstigen Zugang zu Hörhilfen. Sie sollen alte Hörhilfesysteme, wie etwa die Telespule (auch Telecoil genannt, erkennbar an einem blauen Zeichen mit einem Ohr), die sich oft in Kirchen findet, ergänzen. Aber solche Anlagen sind sehr teuer und so manch ein Unternehmen scheut sich vor den Kosten.

Bluetooth Auracast wird hingegen einfach irgendwo in einer Halle oder einem Raum untergebracht. Professionelle Anlagen sollen einen mittleren dreistelligen Euro-Betrag kosten. Und mit einem Schlag ist jeder Person geholfen, die ein modernes Bluetooth-Headset oder ein Hörgerät mit Auracast-Funktion besitzt und etwa in einer Messehalle herumläuft, aber Ansagen hören will. Es muss nichts im Boden oder an der Decke verlegt werden, wie das für Telecoil notwendig ist.

Resound nutzt die IFA für neue Hörgeräte mit Auracast

Der Hersteller Resound, den Du vielleicht auch als Jabra kennst, hat auf der IFA auch schon passende Hörgeräte vorgestellt. Die Hörgeräteindustrie ist nämlich besonders fix, was das Thema angeht. Zumal der Markt durch die immer älter werdende Gesellschaft wächst.

  • Der Bundesverband der Hörsysteme-Industrie verwies gegenüber Handyhase.de auf der IFA etwa darauf, dass allein in Deutschland nach Erhebungen rund neun Millionen Menschen Probleme mit dem Hören haben.

Nur ein Dummy, da ein medizinisches Gerät: Kleines Hörgerät mit Auracast-Unterstützung. (Bild: Andreas Sebayang/Handyhase.de)

Allerdings haben nicht alle Probleme im Alltag oder nur in seltenen Situationen (siehe Cocktail-Party-Problem). Manchmal bemerken sie es allerdings auch nicht. Viele Menschen lernen unbewusst von Lippen zu lesen. Andere sind häufig erschöpft, wenn sie oft anderen Menschen zuhören müssen. Folgeprobleme können so entstehen: von Nackenschmerzen, durch das Drehen des Kopfes bis hin zu einem höheren Demenzrisiko (PDF). Viele gehen dann allerdings auch nicht zum Arzt, weil die Zusammenhänge nicht erkannt werden.

Dank Auracast sinkt die Schwelle, sich hier Hilfe zu suchen, denn Deine Ohrhörer werden so plötzlich zu einer stylishen Unterstützung beim Hören. Insbesondere für junge, technikinteressierte Leute.

Und natürlich bekommst Du mit einem professionellen Hörgerät plötzlich viel mehr Zugänge. Eine Telecoil-Anlage wirst Du Dir sicher nicht in Deine Wohnung installieren. Den kleinen Sender TV-Streamer+ von Resound steckst Du Dir hingegen vielleicht an Deinen Fernseher, damit alle beim Kinoabend in ihrer Wunschlautstärke hören können. Der TV-Streamer+ ist allerdings ein Medizingerät der Klasse 1, wird also von Hörgeräteakustikern verkauft. Es gibt aber auch Geräte, die nicht so klassifiziert sind.

  • Auracast heißt nicht notwendigerweise, dass es ein Medizingerät ist, wie Du etwa an den Galaxy Buds 3 Pro sehen kannst.

Manche Unternehmen scheuen zudem vielleicht die hohen Kosten einer Telecoil-Anlage. Telecoil wird übrigens nicht ersetzt. Auracast ergänzt die Technik, auch wenn sie absehbar sehr viel eher installiert wird. Es spricht beispielsweise nichts dagegen, WLAN-Access-Points ebenfalls einfach mit Auracast auszustatten.

Ein ebenfalls wichtiger Aspekt: Viele Auracast-Geräte sind indirekte Hörhilfen und damit keine medizinischen Geräte. Auch das erleichtert die Nutzung, gerade bei eher geringen Problemen. Professionelle Hörgeräte wird es aber weiter geben, denn diese werden individuell etwa von Hörgeräteakustikern angepasst. Auracast ist also nur eines von vielen Werkzeugen, das aber in Hörgeräte integriert werden kann.

Wann kommt Auracast in die Handys?

Stellst sich noch die Frage: Wann kannst Du Auracast nutzen? Die Antwort ist recht simpel. Im Prinzip ab sofort. Unsere Galaxy-Textmuster belegen das. Sender gibt es auch schon und das kann auch ein Smartphone sein. Die Bluetooth SIG demonstrierte das Senden etwa mit einem XiaomiSmartphone. Es muss also nicht professionelle Hardware sein.

Kleiner Auracast-Sender Multi-Mic+ von Resound wäre für Tourguides in Museen, Hallen und ähnliches geeignet, gilt aber als Medizingerät (Foto: Andreas Sebayang/Handyhase.d)

Sony Xperia und Xiaomi mit Auracast: Update wird ausgerollt

Aktuell wird laut Bluetooth SIG außerdem das Sony Xperia 1 VI mit einem Auracast-Update versehen. Solltest Du Sonys High-End-Smartphone haben: Schau am besten mal nach einem Update. Bei unserem Testmuster funktionierte das Zusammenspiel mit Samsung Buds und dem Xperia aber noch nicht. Wie es ausschaut, brauchst Du aktuell noch Sony-Stöpsel. Wir konnten aber mit dem Sony-Gerät Broadcasts senden und über das Galaxy Z Flip samt Stöpsel das Signal empfangen.

In der Theorie sollten Auracast-Ohrhörer ausreichen. Prinzipiell ist es sogar möglich, dass das Handy die Auracast-Signale empfängt. Wie uns die Bluetooth SIG allerdings sagte, ist ihr kein Fall bekannt, der das so handhabt. Empfänger sind bisher immer Stöpsel, Kopfhörer oder ähnliches wie Hörgeräte bis hin zu Cochlear-Implantaten, die für Auracast schon vorbereitet sind.

Auch für einige Xiaomi-Geräte sollte es mittlerweile Auracast-Updates geben. Außerdem ist mit Android 15 eine flächendeckende Verbreitung auf neueren Smartphones zu erwarten, was dann hoffentliche einige Probleme zwischen Herstellern beseitigt. Und selbst auf älteren Smartphones lässt sich Auracast nachrüsten. Auf der IFA nutzte Bluetooth etwa neue Sennheiser-Headsets, die mit einer eigenen App kommen. Dann klappt’s in der Theorie auch mit vielen älteren Smartphones und Auracast. Das konnten wir aber noch nicht ausprobieren.

Letzte Ärgernisse mit Auracast

Zwei Probleme bleiben aber. Die Namensgebung ist nicht einheitlich. Auch die weitere Verwendung von Auracast steckt noch in den Kinderschuhen.

Auracast oder Broadcast?

Nicht jeder Hersteller nennt Bluetooths Auracast tatsächlich Auracast. Xiaomi und Google nutzen den Namen „Broadcast“. Hier könnte es Verwechslungsgefahr mit dem für Warnmeldungen genutzten Cell Broadcast geben. Auch in WhatsApp gibt es eine Broadcast-Funktion.

Die SIG geht aber davon aus, dass sich dies ändert. Falls Du Dich also wunderst, warum einige von Bluetooth Broadcast sprechen: Ja, das ist leider nicht ungewöhnlich.

Verbreitung von Auracast

Das zweite ist die Verbreitung. Im Heimbereich kannst Du selbst etwas tun, indem Du etwa Dein Handy als Auracast-Sender nutzt. Aber am Flughafen oder am Bahnhof? Das sieht im Moment schlecht aus, auch wenn Handyhase weiß, dass sich mancher Flughafen schon mit der Thematik beschäftigt. Auch die Deutsche Bahn ist das Thema im Rahmen einer Forschung angegangen. Am Bahnhof Berlin-Südkreuz – dem Forschungsbahnhof der DB – hat man einen Vorläufer der Auracast-Technik schon vor Jahren zusammen mit dem Hörgerätehersteller Resound getestet.

Allerdings gibt es unterschiedliche Ansätze, die eine effektive Nutzung verhindern. In Berlin verteilen die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) aktuell beispielsweise neue digitale Haltestellen mit dem Namen Diggi. Diese sind für Audio prinzipiell vorbereitet. Doch diese Haltestellen werden nie sprechen können, denn die BVG setzt auf sprechende Busse. Kommt der nicht, hörst Du aber auch nichts von einem ausfallenden Bus. Auch nicht für den Fall, dass der sprechende Bus mit Auracast ausgestattet wird. Denn weiter als 100 oder 150 Meter könnte ein hypothetischer Auracast-Bus nicht funken. Sollte er auch nicht, schließlich willst Du auf dem Smartphone nicht jeden Bus einer Stadt sehen.

Gerade beim Thema Barrierefreiheit sind also noch weitergehende Überlegungen notwendig, um das Potenzial von Auracast voll nutzen zu können. Die nächsten fünf bis zehn Jahre werden also besonders spannend werden, auch weil die Auracast-Technik erst noch bei den Verantwortlichen ankommen muss. Wie Handyhase.de feststellen musste, ist die Technik nämlich noch immer nicht allzu bekannt. Das gilt aber auch für viele andere Techniken rund um Barrierefreiheit.

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Profilbild von Andy
Andy ist seit September 2023 ein kleines Teilzeit-Rädchen (Häschen?) im Handyhase-Team. Bereits seit 2005 ist er schon als IT-Journalist tätig und war mal Sysadmin. Er hat einen Hang zu sehr besonderen Themen und Gesellschaft. Durch viele Reisen sind aber auch das Thema Flug und Zug zum Spezialgebiet geworden, das er in anderen Publikationen abdeckt.

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