Handyhase deckt auf: Huaweis geheime 6G-Pläne
6G: Das erwartet uns in der Zukunft
Der nächste Mobilfunk-Standard 6G ist ein heißes Thema auf dem diesjährigen Mobile World Congress. Zahlreiche Unternehmen zeigen ihre Ideen und Pläne, was das Netz der Zukunft können soll. 6G wird in Deutschland für 2030 erwartet. Telefónica sprach sogar davon, dass 6G in den nächsten 5 bis 6 Jahren starten könnte, also 2028/29.
Huaweis geheimer 6G-Raum, nicht geheim genug für vier Hasen
Huawei hat seine Pläne auf dem MWC 2023 besonders verschleiert: Die 6G-Features der Zukunft waren in einem geheimen Raum auf dem Messegelände versteckt. Viele bekannte Medien der Branche sind daran gescheitert, aber Handyhase ist es gelungen, sich die Pläne anzusehen. So war es gleich vier Hasen aus der Redaktion gleichzeitig möglich in den Geheimraum zu gelangen. Fotos durften nicht gemacht werden, aber wir schildern hier detailliert, was es hinter den verschlossenen Türen zu sehen gab.
Kameras mit Gehirn
6G wird fähig sein, unzählige Sensoren zu vernetzen. So benötigen zum Beispiel autonome Fahrzeuge Sensoren, damit sie mit keinen anderen Verkehrsteilnehmern kollidieren. „Retina-artige Kameras“ (retina-like camera) erfassen bewegliche Objekte und liefern die Bilddaten an „Gehirn-artige“ Computer. Der Clou hierbei: Die Bildverarbeitung erfolg auf zwei Wegen. Ein „slow path“ verarbeitet weniger kritische Informationen wie Farbe und Form eines Objekts, während auf raschem Wege im „fast path“ wichtige Informationen wie der Bewegungsvektor bestimmt werden.
Das menschliche Gehirn arbeitet auf ähnliche Weise: Aus den Augenwinkeln werden Bewegungen deutlich schneller verarbeitet als Farben und Formen. Schließlich ist nicht relevant, welche Farbe eine Gefahr hat, die von der Seite herannaht – entscheidend ist die Information, in welcher Richtung das Objekt unterwegs ist.
Die Netze bekommen Augen
Die Mobilfunknetze der Zukunft werden zudem Objekte erkennen können. Schon jetzt ist es möglich, mit Terahertz-Kameras Personen abzubilden (Körperscanner am Flughafen). Huawei zeigte, dass mit 6G-Frequenzen Personen in einem Raum abgebildet werden können. Darüber hinaus eignet sich die Technik auch, um medizinische Daten zu erheben. So ist es mit entsprechenden Geräten möglich, kontaktlos den Puls zu messen und sogar den Sauerstoffgehalt im Blut zu bestimmen. Die dabei eingesetzte elektromagnetische Strahlung durchdringt dafür lediglich die menschliche Haut.
Die Total-Erfassung der Öffentlichkeit
Doch es geht noch weiter: 6G-Mobilfunknetze könnten dafür genutzt werden, sämtliche Verkehrsteilnehmer im öffentlichen Raum zu erfassen und diese Daten zu verarbeiten. Ein nützliches und datensparsames Szenario wäre, die gewonnenen Bilddaten zu interpretieren und nur noch die gefilterte Information weiterzugeben – zum Beispiel an autonome Fahrzeuge, die auf diese Weise über alle Verkehrsteilnehmer in der Nähe informiert werden.
Dies wäre insofern datensparsam, als keine großen Bilddaten übertragen werden, sondern bereits interpretierte Daten. Die autonomen Fahrzeuge werden schließlich über die anderen Verkehrsteilnehme informiert.
Auf der anderen Seite kündigt sich hier bereits eine gesellschaftliche Debatte an: Soll den Mobilfunknetzbetreibern erlaubt werden, den gesamten öffentlichen (und ggf. sogar privaten) Raum zu durchleuchten und um des technischen Fortschritts willen in Echtzeit abzubilden?
Satelliten im Mobilfunknetz integriert
Ein wichtiger Trend des diesjährigen MWC war Satelliten-Kommunikation. Huawei plant – wie auch andere Unternehmen – dass Satelliten Teil der Mobilfunknetze werden. Ein Satellit soll in seinem Ausleuchtungsbereich etwa 200 mobile Endgeräte versorgen können. Benötigen mehr Endgeräte im gleichen Bereich das Signal, können mehrere Satelliten auf diesen Bereich ausgerichtet werden. So lassen sich zum Beispiel Kreuzfahrtschiffe oder Gebiete ohne Mobilfunknetz kostengünstig versorgen.
Massive Steigerung der Bandbreite
Damit es gar nicht so weit kommt, dass es im 6G-Zeitalter zu Engpässen kommt, soll der zukünftige Mobilfunkstandard erheblich mehr Bandbreite liefern.
Ein Ziel ist es, 400 GBit/s zu übertragen. Derzeit sind Höchstgeschwindigkeiten von bis zu 1 GBit/s üblich. Das 400-fache der aktuellen Bandbreite wird dazu führen, dass gigantische Datenmengen aus den Mobilfunknetzen ins Internet abgeführt werden müssen. Dort, wo der Datenverkehr zusammengeführt wird, werden Netzkomponenten Petabit pro Sekunde (PBit/s) übertragen müssen.
Dies stellt die Netzingenieure vor physikalische Probleme: Herkömmliche Kabel können solche Datenmengen nicht übertragen, ohne dass ein massives Rauschen entsteht. Die Störungen entstehen durch das „Übersprechen“ der Daten zwischen den Kabeln, da die Daten hauptsächlich auf der Oberfläche der Kabel übertragen werden.
Huaweis Ingenieure haben es jedoch geschafft, neuartige Isolierungen herzustellen, die PBit-taugliche Verkabelung ermöglicht. Dies ist ein wesentlicher Schritt hin zu einem 6G-tauglichen Netz.
Anbindung der Netze wächst um das 20-fache
Mobilfunksender werden standardmäßig mit 10G-PON (10 GBit/s über ein Passive Optical Network) angebunden. Huawei möchte mittelfristig 50G-PON zum mehrheitlichen Standard erheben und erlaubte einen Ausblick auf die Roadmap: Bereits 2027 soll 200G-PON möglich sein, also das 20-fache des derzeitigen Standards.
Dies wird auch notwendig sein, denn die gesamte Bandbreite eines Mobilfunksenders teilt sich auf alle verbundenen Endgeräte auf (shared medium). Und wenn 400 GBit/s über 6G zur Verfügung stehen soll, müssen die Standorte mit einer entsprechenden Bandbreite angebunden sein.
Schließlich wird nicht nur der Datenhunger pro Gerät wachsen – auch die Anzahl der Geräte im Netz wird massiv steigen. Huawei bereitet sich dahingehend vor: Während heutige Antennen über 192 Dipole verfügen (Sende- und Empfangseinheiten), sollen 6G-Antennen der Zukunft ca. 1000 Dipole beinhalten. Dies ermöglicht eine massive Steigerung der möglichen Beams, mit denen Endgeräte gezielt „angefunkt“ werden können.
Virtuelle Quantencomputer: Das Netz denkt selbst
Quantencomputer werden zukünftig eine große Rolle spielen, da sie deutlich schneller rechnen als herkömmliche Systeme. Der große Nachteil von Quantencomputern liegt darin, dass sie noch extrem aufwändig zu betreiben sind. Die Qubits mancher Quantencomputer müssen auf beinahe 0 Kelvin (-269,8° C, nahe dem absoluten Nullpunkt) heruntergekühlt werden – das ist kälter als das Weltall (3 Kelvin).
Huawei arbeitet an virtuellen Quanten-Algorithmen, die deutlich einfacher zu beherrschen sind. Diese Quanten-Simulatoren ermöglichen Forschungsanwendungen, die den klassischen weitaus überlegen sind. Da sie jedoch auf herkömmlichen Systemen laufen, sind die Quanten-Simulatoren erheblich leichter einzusetzen. Allerdings ist ihre Leistung natürlich begrenzt.
Schon länger ist geplant, dass die Rechenleistung immer mehr in die Mobilfunknetze selbst wandert (Edge Computing). Ein konkreter Plan ist, dass Telefonate direkt im Mobilfunknetz übersetzt werden – es gäbe keinerlei Sprachbarrieren mehr. Schon bei den heutzutage verwendeten Übersetzungs-Algorithmen ist eine starke Verbesserung zu spüren. Zukünftige Übersetzungsprogramme sind KI-basiert und berücksichtigen verstärkt den Kontext gesprochener oder geschriebener Sprache. Es ist zu erwarten, dass dies deutlich akkuratere Übersetzungen hervorbringt.
Ausblick: 6G wird heiße Diskussionen entfachen
Es war zweifellos spannend, was bei Huawei hinter verschlossenen Türen lauerte. Das Potenzial der technischen Entwicklungen der Zukunft kann kaum überschätzt werden.
Jedoch ist 6G wie ein Werkzeug: Es kann zum Guten oder zum Schlechten eingesetzt werden. Zur Steigerung der Sicherheit im Straßenverkehr kann 6G ein Segen sein. Als Werkzeug zur Total-Erfassung der Öffentlichkeit dürfte der Standard auf einigen Widerstand stoßen.
Henning G. 02.03.2023, 13:22
Chapeau! (Gruß Henning G.)